Reportage

Tradition trifft Technik

Im fruchtbaren Tal des Senegalflusses pflanzen Bäuerinnen und Bauern auf weiten Flächen Reis an. Er gehört zu jeder Mahlzeit im westafrikanischen Senegal. Die Landwirte arbeiten einerseits mit traditionellen Methoden und Werkzeugen und setzen andererseits auf digitale Tools, um sich auf dem Markt behaupten zu können.

Text: Katrin Gänsler Fotos: Momar Talla Cissé

Assane Diop steht bis zu den Oberschenkeln im Wasser. Langsam bewegt er sich vorwärts, greift große Grasbüschel, reißt diese aus und wirft sie ans Ufer. So sorgt der 48-Jährige dafür, dass der Kanal, der sein Reisfeld umgibt, nicht zuwuchert und das Saatgut immer die richtige Menge an Feuchtigkeit hat. Der Reisanbau im Norden des Senegal, nur einige Kilometer von der Grenze zu Mauretanien entfernt, ist arbeitsintensiv.

Etwas anderes kann sich der Vater von sechs Kindern, der im Ort Diama wohnt, allerdings nicht vorstellen. Schon sein Vater war Reisbauer und gab das Wissen an den Sohn weiter. „Reis ist enorm wichtig. Dank der Ernte haben wir Geld, können unsere Kinder zur Schule schicken und ihnen eine gute Zukunft bieten.“ Drei Hektar Anbaufläche gehören Diop. 2011 hat er sich mit 34 anderen Reisbäuerinnen und -bauern zu einer Kooperative zusammengeschlossen, die den Namen „Mbole Mooy Dalé“ trägt. Das Sprichwort auf Wolof, der am weitesten verbreiteten Sprache im Land, bedeutet „Gemeinschaft schafft Stärke“. Zusammen bewirtschaften sie 115 Hektar. Obwohl das einer Fläche von etwa 161 Fußballfeldern entspricht, ist die Kooperative nur ein kleiner Player. Für Kreditgeber etwa war sie uninteressant. Das Risiko, unbekannte Kleinbäuerinnen und -bauern zu unterstützen, wollte niemand eingehen. Dabei trägt der Zugang zu Geld entscheidend zu einer erfolgreichen Ernte bei. Ohne finanzielle Mittel können Kooperativen nicht investieren und wachsen.

Zwei Personen stehen in einem mit Wasser befüllten Feld und ernten Pflanzen
Person mit Schaufel in der Hand bei der Feldarbeit
Hände, die ein Smartphone halten
Personen auf einem Bewässerten Feld bei der Feldarbeit
Geerntete Pflanzen
Eine Frau in farbenfroher Kleidung
Eine Person beim aussieben geernteter Körner
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Assane Diop ist mittlerweile aus dem Wasser geklettert, wischt sich die nassen Hände an der Hose ab und sagt: „Wir brauchen Kredite, um Saatgut zu kaufen.“ So oder ähnlich ist es häufig im Senegal zu hören. Es fehlt nicht an guten Ideen für eine Selbstständigkeit und häufig ist auch die Ausbildung nicht unbedingt das Problem. Inzwischen gibt es mehr Trainingsprogramme im Land. Doch vieles kann nicht umgesetzt werden, weil das Kapital nicht vorhanden ist.

Ibrahima Seck (28) steigt von seinem Motorrad. Mindestens zweimal die Woche besucht er die Bäuerinnen und Bauern auf ihren Reisfeldern. Auf dem Rücken trägt er einen schwarzen Rucksack, aus dem er sein Smartphone holt. Nicht Spaten oder Hacke sind die wichtigsten Werkzeuge des Diplom-Landwirts, sondern dieses kleine Gerät. Die Männer begrüßen sich, während Seck die App „Bureau“ öffnet. In dieser hat jedes Mitglied der Kooperative einen eigenen  digitalen Ordner, auch Assane Diop. Gespeichert sind Daten rund um den Reisanbau, wie die Flächengröße und vor allem Fotos, die die Reisfelder zeigen. Regelmäßig kommen neue hinzu, etwa wenn Saatgut ausgebracht oder Unkraut gejätet wurde. Auch dokumentieren sie, wie die schmalen, grünen Halme nach und nach wachsen. Diop sagt, es sei anfangs gewöhnungsbedürftig gewesen, dass seine Felder ständig fotografiert werden. Doch all das bietet die Chance, endlich mit Finanzgebern in Kontakt zu kommen und sichtbar zu werden. Das schafft Vertrauen.

Möglich macht es die Plattform „agCelerant“, die das Unternehmen Manobi Africa entwickelt hat. Gründer Daniel Annerose (65) nennt das Konzept „phygital agriculture“; ein Wortspiel aus physical und digital, eine Verbindung von Technik und Landwirtschaft. Wie bei Zahnrädern greifen verschiedene Bereiche ineinander, erklärt er. Junge Leute wie Ibrahima Seck werden zu Beratenden ausgebildet und können in neuen Jobs arbeiten. Landwirte wie Diop werden von ihnen gut beraten, können sich auf dem Markt besser behaupten und werden mit größeren Abnehmern in Kontakt gebracht. Zentral sei jedoch der Zugang zu Krediten, betont Annerose. Weiterer Pluspunkt: Da alle Informationen, etwa zur Ernte der Bäuerinnen und Bauern, digital festgehalten werden, entsteht zudem nach und nach ein großer Datensatz, der Erkenntnisse über die Entwicklung der Landwirtschaft gibt. Umsetzen lässt sich das auch deshalb, weil sich die Internetabdeckung im Senegal kontinuierlich verbessert hat. Selbst auf dem Land erscheint auf den Displays fast überall 4G. Funklöcher sind selten. Neben Plattform und App sind Expertinnen und Experten wie Ibrahima Seck wichtige Unterstützer für die digitale Entwicklung der Landwirtschaft. Er und 39 weitere Senegalesinnen und Senegalesen wurden im vergangenen Jahr in der Akademie von Manobi ausgebildet. Gemeinsam mit der internationalen Forschungseinrichtung AfricaRice hat die GIZ diese Qualifizierungsmaßnahme im Auftrag des BMZ unterstützt.

Eine funktionierende Landwirtschaft gewinnt immer mehr an Bedeutung. Bei verschiedenen Gelegenheiten betonte Senegals Präsident Macky Sall: „Ich bin überzeugt davon, dass sich Senegal selbst mit Nahrungsmitteln versorgen kann.“ Der Reisanbau im Flusstal des Senegal – so heißt auch der 1.086 Kilometer lange Fluss, der sich durch den Norden schlängelt – trägt entscheidend dazu bei. Das westafrikanische Land, in dem Reis bei keinem Gericht fehlen darf, soll unabhängig von Importen aus Asien werden und qualitativ guten Reis produzieren. Das ist ambitioniert, denn die Bevölkerung Senegals wächst deutlich. Innerhalb von 30 Jahren hat sie sich fast verdoppelt, auf 17 Millionen Menschen.

Länderflagge Senegal

Steckbrief Senegal

Hauptstadt
Dakar
Gesamtbevölkerung
18,5 Mio.
HDI Rang
169
BIP pro Kopf
1,74 Tsd.€

Mit dem Wachstum einher geht hohe Arbeitslosigkeit. Laut nationaler Statistikagentur lag sie im vierten Quartal 2021 bei knapp 25 Prozent. Jobs entstehen meist im Ballungszentrum Dakar, wo fast jede*r Vierte wohnt. Dem ländlichen Raum gehen hingegen die Fachkräfte verloren. Ibrahima Seck, der vor seinem digitalen Landwirtschaftstraining schon einen Master in Umweltwissenschaften gemacht hatte, baut sich ausgerechnet dort seine Zukunft auf. „Es war mein Wunsch, hier in der Landwirtschaft zu arbeiten“, betont er. Er arbeitet seit einigen Monaten als selbstständiger Berater, braucht dazu einzig sein Motorrad und sein Smartphone. Er unterstützt die Kleinbäuerinnen und -bauern nicht nur bei der Datenpflege, sondern auch bei der Berechnung von Saatgut und Dünger und hilft beim Ausfüllen von Formularen auf Französisch. Für diesen Service bezahlen ihn die Bäuerinnen und Bauern. Pro Hektar Ernte erhält Seck 80 Kilogramm Reis, die er weiterverkauft. Monatlich ergibt das ein Einkommen von umgerechnet knapp 460 Euro. In ländlichen Regionen, wo Kosten für Miete, Lebensmittel und Transport deutlich geringer sind als in der Hauptstadt Dakar, gilt das als guter Lohn.

Beide Seiten sind angespornt. Die Bäuerinnen und Bauern versuchen, höhere Erträge zu erwirtschaften. Seck wiederum hat ein Interesse, sein Klientel optimal zu unterstützen und den Kundenstamm zu erweitern, um so für größere Flächen zuständig zu sein. Die Verbindung aus landwirtschaftlicher Tradition und moderner Technik ergänzt sich hier offenbar bestens. Assane Diop nickt, als sich Ibrahima Seck verabschiedet: „Schon die erste Ernte hat uns ein Plus von 20 Prozent pro Hektar gebracht. Das macht mich gelassener mit Blick auf die Zukunft.“

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