„Deutschland und Brasilien gehen mit gutem Beispiel voran“
Die brasilianische Ministerin für Umwelt und Klimawandel, Marina Silva, erläutert, warum der Erhalt des Amazonas-Regenwaldes so wichtig ist, und was an der deutsch-brasilianische Zusammenarbeit so besonders ist.
„Die COP in Brasilien ist in politischer, technischer und – vor allem – ethischer Hinsicht von Bedeutung.“
Was bedeutet es für Sie, die Weltgemeinschaft in Belém willkommen zu heißen?
Dass die COP30 in Belém stattfindet, im Herzen des Amazonasgebiets, ist in vielerlei Hinsicht bedeutend. Zumal die drei Rio-Konventionen und die Erd-Charta 1992 hier in diesem Land ins Leben gerufen wurden. Nach 33 Jahren kehrt die UN-Klimakonferenz nun nach Brasilien zurück. Dies hat politisch, technisch und – vor allem – ethisch Bedeutung.
Hätten wir damals auf die Warnungen der Expert*innen gehört und unsere Hausaufgaben gemacht, befänden wir uns nicht in der jetzigen Lage: inmitten einer Klimakrise, die Menschenleben kostet und wirtschaftliche, soziale sowie ökologische Schäden anrichtet. Der Amazonas-Regenwald ist vom Klimawandel stark betroffen. In Brasilien wissen wir: Selbst wenn wir die Entwaldung stoppen – und wir wollen sie bis 2030 auf null reduzieren –, werden die tropischen Regenwälder weiter Schaden nehmen, solange die restliche Welt nicht ihren Teil dazu beiträgt, CO2-Emissionen aus Kohle, Öl und Gas zu verringern.
Der Amazonas-Regenwald verliert bereits jetzt an Feuchtigkeit. Im Jahr 2024 gingen mehr Waldflächen durch klimawandelbedingte Brände verloren als durch Kahlschlag. Wir haben gelernt, Kahlschlag zu bekämpfen, aber es ist sehr viel schwieriger, diese Art Brände zu verhindern und zu löschen. Das gilt nicht nur für Brasilien, sondern für die ganze Welt. Das ist also eine Warnung – eine Warnung, dass der Moment, an dem es für einen der empfindlichsten und wichtigsten Orte der Erde kein Zurück mehr gibt, schon bald erreicht ist.
Was sind die wichtigsten Prioritäten Brasiliens für die COP30?
Wir verfolgen einen doppelten Ansatz: Wir haben nationale Prioritäten und möchten diese mit der globalen Agenda, die aus der COP29 hervorging, in Einklang bringen. Gleichzeitig müssen wir ergänzende Themen erörtern, die in den nächsten zehn Jahren eine wichtige Rolle unter der Klimarahmenkonvention spielen werden. Zu ihnen gehört die Frage: Wie setzen wir bereits getroffene Vereinbarungen und Verpflichtungen um? Das gilt besonders für den Konsens, der in den Vereinigten Arabischen Emiraten erzielt wurde. Dort hat die Staatengemeinschaft bekräftigt, dass die Erderwärmung 1,5⁰ C nicht überschreiten darf. Außerdem, dass wir Verluste und Schäden stärker betrachten – erste Beiträge zum Loss and Damage Fund sind schon eingegangen – und dass dringend Maßnahmen zur Umsetzung folgen müssen.
Dies geht Hand in Hand mit einigen Schlüsselthemen, die entscheidend für die Lösung sind: der Verdreifachung der erneuerbaren Energien, der Verdopplung der Energieeffizienz und einer fairen, verbindlichen Abkehr von fossilen Brennstoffen und der Abholzung von Wäldern. Diese Punkte stehen zwar nicht auf der Verhandlungsagenda, aber wenn sie nicht weiterverfolgt werden, wird der Dubai-Beschluss keine Wirkung erzielen.
Sie stecken sich ehrgeizige Ziele für die COP30 …
Das Wort COP steht für eine große, gemeinsame Anstrengung von 198 Ländern. Doch wofür genau? Für die Umsetzung gemeinsamer Ziele – aber welcher? Es wurde beschlossen, dass wir die fossilen Brennstoffe und die Entwaldung hinter uns lassen müssen. Dafür brauchen wir einen Aktionsplan, der den Weg für die nächsten zehn Jahre vorgibt.
Ich sage, dass die COP30 eine richtungsweisende Konferenz sein muss – so wichtig wie die Klimakonferenz in Kopenhagen, das Übereinkommen von Paris oder andere Meilensteine. Diese COP sollte den Multilateralismus stärken, die Fragmentierung der Klimaschutzbemühungen verhindern und eine klare Richtung für die Umsetzung aufzeigen.
„Hätten wir 1992 auf die Warnungen gehört und unsere Hausaufgaben gemacht, würden wir nicht mitten in einer Klimakrise stecken.“
Deutschland und Brasilien arbeiten bereits seit Jahrzehnten im Rahmen einer langjährigen und vertrauensvollen Partnerschaft zusammen, die ihre Wurzeln in den 1960er Jahren hat. Brasilien wird heute nicht mehr als klassisches Entwicklungsland, sondern als wichtiger globaler Akteur angesehen. Folglich hat sich im Laufe der Jahre auch die Art der Zusammenarbeit verändert. Gegenwärtig liegt der Schwerpunkt auf dem Klimaschutz, dem Erhalt der biologischen Vielfalt und dem Ausbau erneuerbarer Energien. Ein zentrales Ziel ist der Schutz des Amazonas-Regenwaldes. Zur Unterstützung dieses Ziels wurden beispielsweise Initiativen ins Leben gerufen wie der Amazonienfonds für Wald- und Klimaschutz, zu dessen größten Förderern Deutschland zählt. Weitere Prioritäten sind die integrierte Stadtentwicklung, eine faire und nachhaltige Wirtschaft, die berufliche Bildung und die Förderung sozialer Gerechtigkeit. Die Zusammenarbeit fußt auf gegenseitigem Respekt, gemeinsamen Interessen und dem gemeinschaftlichen Ziel, die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zu unterstützen.
Deutschland und Brasilien verbindet eine langjährige Partnerschaft in Klima- und Umweltfragen. Welche Bedeutung hat diese Zusammenarbeit im gegenwärtigen geopolitischen Kontext zu und warum?
Unsere Zusammenarbeit ist in diesem schwierigen geopolitischen Kontext von großer Bedeutung. Erstens, weil es sich um eine jahrzehntelange und fest etablierte Partnerschaft handelt. Diese drückt sich nicht nur in den politischen Beziehungen und der Freundschaft zwischen unseren Ländern aus, sondern auch durch konkrete Maßnahmen. Genau das macht den Unterschied.
Keine Beziehung lebt vom Reden allein. Es muss ein Geben und Nehmen, Solidarität und Partnerschaft geben. Erreichen können wir das über technische Zusammenarbeit, über den Austausch, den wir pflegen, und über eine Zusammenarbeit bei den Ressourcen, nicht nur den finanziellen, sondern auch den personellen.
Zugleich arbeiten wir in einer Weise zusammen, die sowohl den Prioritäten Brasiliens als auch denen Deutschlands Rechnung trägt. Schon seit vielen Jahren prägen diese Prioritäten unser Handeln. Das PPG7 (Anm. d. Red.: ein Programm zum Schutz des brasilianischen Regenwaldes aus den 1990er Jahren) bildete beispielsweise den Anfang einer Reihe von Pilotprogrammen, die später Teil der staatlichen Politik wurden, wuchsen und heute eigenständig arbeiten.
Das ist sehr wichtig, weil wir anderswo auch Zeuge schmerzhafter Entwicklungen werden und sehen, wie historische Kooperationen, Solidarität und Partnerschaften zusammenbrechen. Deutschland und Brasilien gehen mit gutem Beispiel voran, denn wir erhalten unsere Beziehungen, unsere Freundschaftsbande, den Handel und vor allem die Solidarität aufrecht.
Das 1992 gestartete Programm PPG7 war die erste große internationale Initiative zum Schutz der tropischen Regenwälder und zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung im Amazonasgebiet. Es brachte die brasilianische Regierung, die G7-Länder, die Europäische Kommission, die Weltbank sowie eine Vielzahl von lokalen Partnern und zivilgesellschaftlichen Organisationen an einen Tisch. Deutschland spielte von Anfang an eine zentrale Rolle, zumal das Land über die damalige GTZ (jetzt: GIZ) und die KfW einen wichtigen technischen und finanziellen Beitrag leistete. Viele heutige Programme wie der Amazonienfonds für Wald- und Klimaschutz und der Aktionsplan zur Prävention und Kontrolle der Entwaldung basieren auf Erfahrungen aus dem PPG7. Das Programm gilt bis heute als Meilenstein in der Geschichte der brasilianisch-deutschen Zusammenarbeit zum Schutz der tropischen Regenwälder.
Können Sie sich noch an den Moment erinnern, als Sie zum ersten Mal erkannten, wie wichtig es ist, unseren Planeten zu schützen?
Der Naturschutz lag mir schon immer am Herzen. Aber mein politisches Bewusstsein erwachte mit 17, als ich Chico Mendes und Pater Clodovis Boff bei einem Treffen der Pastoral da Terra (Anm. d. Red.: einer Organisation der katholischen Kirche, die sich für Landreformen und Landarbeiter*innen einsetzt) sah. Da wurde mir klar, dass unsere Arbeit auf der Gummiplantage eigentlich dem Umweltschutz diente. Und von da an wuchs mein Bewusstsein dafür – auch durch den Kontakt zu Menschen wie Fernando Gabeira und Alfredo Sirkis von der brasilianischen Partei der Grünen, die eng mit der grünen Bewegung in Europa verbunden waren.
Aber dass ich etwas zum Schutz des Planeten tat, wurde mir erst bewusst, als ich erkannte, dass es für die ganze Welt bedeutsam ist, das Amazonasgebiet zu erhalten – und dass umgekehrt für uns wichtig ist, was auf der anderen Seite des Planeten geschieht.
Zur Person
Marina Silva ist zum zweiten Mal Ministerin für Umwelt und Klimawandel in Brasilien. Schon von 2003 bis 2008 war sie Teil der Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. Sie wurde in der brasilianischen Amazonasregion im Bundesstaat Acre geboren und ist eine der leidenschaftlichsten und aktivsten Verfechterinnen eines entschlossenen Kurses für Klimaschutz und Klimaanpassung.
Ihr Ziel ist es, das Amazonasgebiet zu retten und die Abholzung bis 2030 vollständig zu stoppen.
Mayana Witt hat diese Interview-Produktion unterstützt.