© GIZ

19.01.2023

„Es gibt für uns rote Linien“

GIZ-Vorstandssprecher Thorsten Schäfer-Gümbel im Interview.

Herr Schäfer-Gümbel, die Taliban haben Frauen auch die Mitarbeit in NGOs verboten. Was heißt das für die GIZ?

Schäfer-Gümbel: Das Vorgehen der Taliban ist inakzeptabel. Es gibt für uns rote Linien. Bundesministerin Svenja Schulze hat zu Recht die Arbeit in Afghanistan ausgesetzt, das gilt auch für uns. Wir beschäftigen selbstverständlich weibliche Ortskräfte. Aus Sicherheitsgründen veröffentlichen wir allerdings grundsätzlich keine Zahlen.

 Haben Sie noch einen Funken Hoffnung, dass sich am Vorgehen der Taliban etwas ändert?

Schäfer-Gümbel: Ein Unternehmen wie die GIZ mit ihrem Auftrag für nachhaltige Entwicklung hat immer Hoffnung, dass sich was zum Besseren verändert. Einfluss haben wir in dem Fall aber nicht. Die Gebergemeinschaft ist im intensiven Austausch untereinander. Auch die UN berät weiter. Unsere große Stärke ist, dass wir sehr schnell und sehr präzise wieder handlungsfähig wären, wenn es eine Option dafür gibt. Wir haben zum Beispiel mit NGOs bei der Lebensmittel- oder Wasserversorgung der Bevölkerung gearbeitet. Derzeit liegt das alles auf Eis.

Was ist mit den noch zurückgebliebenen Ortskräften?

Schäfer-Gümbel: In den letzten Monaten haben wir im Auftrag der Bundesregierung rund 24.000 Menschen den Übergang aus Afghanistan ermöglichen können. Dabei handelt es sich nicht allein um Ortskräfte, sondern auch um Frauen und Männer aus Menschenrechtsorganisationen, Justiz und Medien. Alles Personen, die im Rahmen der Evakuierung eine Aufnahmezusage für Deutschland bekommen haben. Die Kriterien dafür definiert die Bundesregierung. Viele Anträge sind noch nicht entschieden. 

Inwieweit ist die Arbeit in Ländern mit demokratiefeindlichen Regierungen überhaupt vertretbar?

Schäfer-Gümbel: Das ist immer ein Spannungsverhältnis. Und die Zahl fragiler Einsatzländer mit unzureichender Staatlichkeit wächst. In Südsudan, Sudan oder Mali beispielsweise arbeiten wir aktuell regierungsfern. Es geht darum, die Bevölkerung direkt zu unterstützen und die Lebenswirklichkeit der Menschen zu verbessern. Im Jemen sind wir mit zehn Projekten aktiv, die sich unter anderem um Wasserversorgung, Gesundheit und Jobs kümmern. Es geht uns um die Menschen nicht um einen Regierungsapparat. Und die GIZ kann auch unter schwierigen Bedingungen wirksam arbeiten. 

Was bedeutet die von Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende für die internationale Entwicklungszusammenarbeit?

Schäfer-Gümbel: Dass sich die Welt seit dem 24. Februar verändert hat, ist offensichtlich. Vieles kommt derzeit zusammen: Die Pandemie und ihre Auswirkungen, die Klima- und Energiekrise, nun der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. In der Folge dieser Ereignisse haben wir rund 150 Millionen Menschen mehr, die hungern. Die Zahl derer, die in absoluter Armut leben, ist laut Weltbank um mindestens 75 Millionen gestiegen. Die Lebensmittel- und Düngerpreise sind zudem explodiert. Entwicklungszusammenarbeit ist aus meiner Sicht wichtiger denn je, denn für eine wachsende Zahl Menschen im globalen Süden geht es nur noch um die nackte Existenz. Deswegen hat die Zeitenwende massivste Auswirkungen auf die Entwicklungszusammenarbeit. 

Das heißt?

Schäfer-Gümbel: Die sich überlagernden Krisen haben die Entwicklungsfortschritte der letzten Jahrzehnte zum Teil deutlich zurückgeworfen. Deswegen müssen auch die internationalen Anstrengungen deutlich erhöht werden. 

In Deutschland heißt die Zeitenwende jedoch, mehr Geld fürs Militär und nicht für die Entwicklungszusammenarbeit.

Schäfer-Gümbel: Es gibt keine Entwicklung ohne Sicherheit und keine Sicherheit ohne Entwicklung. Beides greift ineinander, steht aber auch jeweils separat für seine eigene Wirksamkeit. Eine enge Verzahnung von Entwicklungszusammenarbeit, Diplomatie und Sicherheit ist sinnvoll. In der Regel ist die GIZ in fragilen Kontexten handlungsfähig ohne ein gleichzeitiges Mandat der Bundeswehr. Dort, wo die Bundeswehr ist, sind wir aber nicht ständig gemeinsam unterwegs. Das ist nicht nötig und würde uns auch nicht nur helfen.  

Die Bundeswehr wird Mali verlassen. Die GIZ dann auch?

Schäfer-Gümbel: Diese Entscheidung trifft die Bundesregierung. Lassen sie mich aber grundsätzlich nochmal festhalten, Fragilität nimmt auf der Welt zu, sie ist für uns als GIZ eher etwas wie Normalzustand. Zwei Drittel unserer Vorhaben finden unter solchen Bedingungen statt. Nur im absoluten Ausnahmefall ist die Bundeswehr im Land.

Wenn Sie auf die Ukraine schauen, ist die GIZ dann vor allem nach dem Krieg gefordert?

Schäfer-Gümbel: Wir sind jetzt schon vor Ort, helfen etwa bei der Sicherstellung der Energieversorgung durch Generatoren oder bei den Binnenflüchtlingen. Derzeit sind wir mit 32 Projekten vertreten. Klar ist aber auch: Der Wiederaufbau wird immense Mittel und Anstrengungen erfordern. Das wird auch für uns eine sehr große Aufgabe.

Erschienen am 10. Januar 2023: Afghanistan, Mali, Ukraine - Interview mit GIZ-Chef Schäfer-Gümbel​ (rp-online.de)