Interview mit Arno Tomowski, GIZ-Ansprechpartner zu den Themen Flucht und Migration

„In Bewegung"

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Herr Tomowski, kommt die Sprache auf Flucht und Migration, hat man das Gefühl, ein sehr weites Feld zu betreten. Es ist die Rede von Flüchtlingen, Migranten, Vertriebenen – wo sind da die Unterschiede?

In der Tat werden im allgemeinen Sprachgebrauch die Begriffe oft mehrdeutig verwendet. Dabei gibt es klare Definitionen. So ist der Begriff Vertriebene ein Oberbegriff für alle Personen, die aufgrund externer Einflüsse ihren Heimatort verlassen mussten – also sowohl Flüchtlinge, Binnenvertriebene, vor Naturkatastrophen oder Ähnlichem Schutz suchende als auch Asylbewerber und -suchende. Das waren laut Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen Ende 2015 mehr als 65 Millionen Menschen. Unter ihnen befanden sich 21,3 Millionen Flüchtlinge. Das sind Personen, die wegen Kriegen, Menschenrechtsverletzungen oder persönlicher Verfolgung außerhalb ihres Heimatlandes Zuflucht suchen.

Die Mehrzahl der Ende 2015 als Vertriebene erfassten Menschen, nämlich 40,8 Millionen, sind sogenannte Binnenvertriebene. Sie fliehen innerhalb ihres Herkunftslandes in einen anderen Landesteil und überschreiten keine internationale Grenze. Eine weitere, kleinere Gruppe Vertriebener sind Asylsuchende beziehungsweise Asylbewerber. Ende 2015 waren das rund 3,2 Millionen Menschen. Insgesamt ist die Zahl der Menschen in Bewegung aber sehr viel größer. Rund 250 Millionen Menschen leben laut Internationaler Organisation für Migration außerhalb ihrer Herkunftsländer. Diese Personengruppe bezeichnet man in der Wissenschaft als Migranten. Dazu gehören all jene, die zum Beispiel zum Arbeiten, zwecks einer Ausbildung, aber auch aufgrund von Familienzusammenführungen ihre Heimat verlassen haben.

Welche Unterstützung brauchen Menschen, die sich mit dem Gedanken tragen, ihre Heimat zu verlassen, und die, die schon auf dem Weg sind?

Menschen, die bereits auf der Flucht sind, brauchen zunächst Schutz und Grundversorgung. Schutz vor Schleppern und Kriminellen, die versuchen, durch Fehlinformationen oder Gewaltanwendung Gewinne aus den Schicksalen der Migranten zu schlagen. Die Länder, in die die Menschen flüchten oder migrieren, sind häufig ebenfalls arm und bereits in für uns unvorstellbarem Maße belastet. Die GIZ unterstützt daher Flüchtlinge und die sie aufnehmenden Gemeinden in gleichem Maße. Das vermeidet Konflikte, etwa um Ressourcen. Ein gutes Beispiel dafür sind die im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) von der GIZ durchgeführten Cash-for-Work-Vorhaben im Rahmen der Beschäftigungsoffensive Nahost.

Menschen, die ihr Land als Migranten verlassen wollen, haben in der Regel verschiedene Gründe. Meist erhoffen sie sich bessere Lebensbedingungen und Perspektiven – gerade die jungen Generationen. Das sind in erster Linie Arbeit und Einkommen, die gesicherte Versorgung mit Wasser, Nahrung, Krankenversorgung, Wohnraum und alles, was zu einem normalen Leben gehört. Dafür zu sorgen ist in allererster Linie die Verpflichtung der jeweiligen Regierungen der Länder. Mit unserer Arbeit unterstützen wir strukturell und mit wirksamen Maßnahmen eine bessere Versorgung der Bevölkerung. Zum Beispiel in Jordanien und Mali: In diesen trockenen Ländern hat die effiziente Nutzung von Wasser eine hohe Priorität. Ganz grundsätzlich gilt, dass die Grundversorgung mit Energie enorm wichtig ist für wirtschaftliche Entwicklung, ebenso wie die Produktivität in der Landwirtschaft für die Ernährung. Bildung und berufliche Bildung bieten gerade jungen Menschen die Chance, ihr individuelles Potential zu entwickeln und sich selbst Perspektiven zu eröffnen.

Wie sehen denn die positiven Seiten der Migration aus?

Geregelte, legale Migration ist weltweit in erster Linie ein dreifacher Gewinn, wenn Regeln eingehalten werden und keine Ausbeutung erfolgt. Nehmen Sie ein Beispiel aus unserer Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit: Deutschland braucht dringend Pflegekräfte für die alternde Bevölkerung. Wir helfen dabei, diese Pflegekräfte aus Staaten, die einen Überschuss an gut ausgebildeten Pflegekräften aufweisen, nach Deutschland zu bringen. Damit werden die Arbeitsmärkte der Herkunftsländer entlastet, die Menschen profitieren von einer neuen beruflichen Perspektive und tragen zur Deckung des wachsenden Bedarfs an qualifiziertem Pflegepersonal in Deutschland bei.

Diese Form der geregelten Migration ist grundsätzlich positiv zu bewerten, da sie aufgrund des in den Herkunftsländern herrschenden Überangebots an diesen Fachkräften nicht zu einer Schwächung der Volkswirtschaften führt - Stichwort Brain-Drain. Es ist ein Beispiel dafür, dass wir auch in der Diskussion um Migration differenzieren müssen. Übrigens sieht die deutsche Wirtschaft den Mangel an Fachkräften mittlerweile als das Top-Risiko.

 

Juni 2017