Vietnams Wirtschaft wächst rasant. Das Land am Mekong-Delta bringt sich als attraktiver Produktionsstandort in Position, auch als Alternative zu China. Damit steigt der Hunger auf Energie. Gestillt werden soll er grün und gerecht – und mit Unterstützung der GIZ.
Aus vietnamesischen Fabriken kommen Elektronikprodukte und Kleidung, von den Feldern Reis und Kaffee für die Welt. Vietnams Tourismus boomt. Schon jetzt ist das Land der zweitgrößte Umschlag- und Herstellungsort für Produkte des Möbelhauses Ikea. Vietnam setzt alles daran, seine Industriekapazitäten weiter auszubauen.
Um dem wachsenden Energiebedarf dafür gerecht zu werden, baut das Land seit Jahren seinen Energiemarkt aus. Die Stromproduktion steigt, das Stromnetz wächst. Und zwar nachhaltig: 2050 will Vietnam aus der Kohleverstromung ausgestiegen sein. Dann – so der Plan - werden erneuerbare Energien über 95 Prozent des Bedarfs decken.
Wie nachhaltige Energiepolitik entsteht
Die GIZ hat einen großen Beitrag dazu geleistet, dass schon heute die Hälfte des Energiebedarfs aus Quellen wie Solar, Wind und Wasser gewonnen wird. In den vergangenen zehn Jahren hat sie im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ), des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und der Europäischen Union die vietnamesische Regierung und Akteure des Strommarkts zusammengebracht und beraten. Unter anderem flossen ihre Empfehlungen in wichtige Richtlinien und Gesetze ein. Diese regeln heute zum Beispiel, unter welchen Bedingungen regenerative Energie ans Netz angeschlossen werden kann. Auch hat die GIZ die führenden Energieberatungsplattformen aufgebaut und organisiert. Politische Partner nutzen diese nun als Entscheidungsgrundlage.
Eines der wichtigsten Ergebnisse dieses Wissens- und Technologietransfers: Vietnam führte Einspeisetarife ein. Sie spornten Privatleute und Unternehmen an, in Solarzellen auf Dächern und Feldern und Windkrafträder zu investieren, um mit Gewinn selbstproduzierten Strom ins Netz zu leiten. So entwickelte sich das Land zum größten Erzeuger von erneuerbaren Energien in Südostasien. Noch im Jahr 2018 gab es praktisch keine regenerativen Energien, heute können die Vietnames*innen damit nahezu 100 Prozent des aktuellen Strombedarfs im Land selbst decken.
Der rasante Zubau von Solar- und Windkraft brachte jedoch auch neue Herausforderungen mit sich, wie die Überlastung des Stromnetzes. Neben umfassenden Investitionen in den Netzausbau ist nun vor allem intelligentes Stromnetzmanagement notwendig, um einen steigenden Anteil an erneuerbaren Energien zu ermöglichen. Um Abhilfe zu schaffen, untersuchte die GIZ, wie Stromnachfrage und -produktion besser aufeinander abgestimmt werden können – und fand auch hier Lösungen, die bereits zu Verbesserungen führten.
Fachkräfte für die Energiewende
Auf dem Weg dorthin gab es auch Vorbehalte. Chi Mai, Projektleiterin bei der GIZ, berichtet von großen Sorgen der Verantwortlichen der Provinz Binh Thuan. Die Bezirks- und Gemeindevorsteher hatten Ängste der Menschen formuliert, die Masten könnten umfallen und Menschen oder Vieh töten. Studienreisen zu deutschen Windparks lösten solche Vorbehalte auf. „Durch die Reise nach Deutschland bekamen sie die Gewissheit, dass es sich um ein sicheres, sauberes und grünes Projekt handelt und konnten das den Menschen vor Ort auch gut vermitteln. Aus Bedenken wurde so uneingeschränktes Vertrauen.“ Bis 2030 will Vietnam nun damit beginnen, seine Offshore-Windkraft aufzubauen. Im Land mit der längsten Küste in der Region sollen sich Windräder künftig auf dem Meer drehen.
Auch die Ausbildung von Energieexpert*innen ist Teil der Erfolgsgeschichte: Über 1.300 Menschen nahmen an Trainings teil, die die GIZ konzipierte und mit vietnamesischen und internationalen Partnern umsetzte. Mehr als 1.700 Unternehmen führten in der Folge Energiemanagementsysteme ein, die ihnen helfen, den Energieverbrauch zu senken. Tran Viet Nguyen, stellvertretender Leiter für Geschäftsentwicklung des staatlichen Energieversorgers EVN: „Wir schätzen die technischen Analysen, Schulungen sowie Seminare und Konferenzen der GIZ zum Austausch internationaler Erfahrungen in den Bereichen Energiewende, erneuerbare Energien und neue Energien sehr. Die praxisnahen Schulungen erleichtern es unseren Mitarbeitern, ihre täglichen Aufgaben fachgerecht zu erfüllen.“ Heute gehört das Land zu jenen Ländern, die am meisten Jobs im Bereich erneuerbarer Energien haben – Nachhaltigkeit als Wirtschaftszweig.
Kohleausstieg und Strukturwandel: Herausforderungen wie in Deutschland
Doch der Wandel verläuft nicht ohne Probleme. Denn in Vietnams Kohleregionen gehen mit dem Ausstieg Jobs verloren. Damit diese Orte und ihre Menschen nicht abgehängt werden, müssen sie rechtzeitig von Strukturwandelprogrammen profitieren. Sie brauchen neue Arbeitsmöglichkeiten. Zerstörte Tagebaulandschaften sollen renaturiert werden. Philipp Munzinger leitet das Energieprogramm der GIZ in Vietnam. „Diese einschneidenden Veränderungen aufzufangen und die Energiewende gerecht zu gestalten, gehört zu den Aufgaben, die wir jetzt unterstützen“, erklärt er. So hat die GIZ ein Netzwerk von Frauen im Energiesektor mit aufgebaut. Es stärkt die Energiewendekompetenzen von Frauen in Schlüsselpositionen und bereitet sie auf entsprechende Karrieren vor.
Vietnam richtet den Blick nach vorne. Für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien und die vollständige Dekarbonisierung des Energiesektors steht das Land vor ähnlichen Fragen wie Deutschland: Wie lässt sich Energie in großem Maßstab speichern, wie das Potenzial für grünen Wasserstoff nutzen? Wie wird das Stromnetz noch stabiler? Die GIZ begleitet diesen Weg weiter, um auch hierfür die passenden Lösungen zu finden.
Stand Juni 2024