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26.10.2021

Alte Heimat, neues Leben

Wafa’a und Omar müssen ihre Heimat im Irak verlassen: Sie flieht vor dem IS, er hofft auf ein besseres Leben in Deutschland. Als sie Jahre später zurückkehren, haben sie keine Perspektive. Dann absolvieren sie ein Training – das alles verändert.

Wafa’a hat den Tag des Einmarsches noch vor Augen, als sei es gestern gewesen. Es ist der 3. August 2014, um 4.30 Uhr dringen die Kämpfer des „Islamischen Staats“ (IS) in Wafa’as Heimatort Hardan ein. Tausende Jesid*innen haben im umliegenden Sinjar-Gebirge im Nordirak Zuflucht gesucht – und sind nun von der Terrormiliz eingekesselt. Wafa’a, ihr Onkel, ihre Mutter, ihre zwei Schwestern und die Kinder rennen an diesem Morgen um ihr Leben, ein Auto haben sie nicht. Der Vater und ihre Brüder bleiben zurück, wenig später bricht die Verbindung zu ihnen ab – vielleicht für immer. Später wird man ihnen sagen, dass der IS die Männer verschleppt hat. 

Wafa‘a und ihre Familie suchen Schutz in der autonomen Region Kurdistan. Als sie Jahre später nach Hardan zurückkehren, erkennen sie ihre Heimat nicht wieder: „Sie hatten alles niedergebrannt, unser Haus, unsere Geschäfte“, erinnert sich Wafa‘a. „Wer nicht fliehen konnte, wurde getötet oder entführt.“ Der Onkel gibt ihnen ein Zimmer, Wafa’a hält sich mit Putzen über Wasser. Ihr Wunsch ist es, ihr Haus wiederaufzubauen, aber ihr Gehalt – umgerechnet nur etwas mehr als ein Euro am Tag – reicht kaum zum Überleben. 

Dann erfährt Wafa’a von einem Trainingsprogramm in der Sinjar-Region, das von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH unterstützt wird. Sie nimmt an einer sechsmonatigen Ausbildung zur Konditorin teil und lernt, Kuchen zu backen und andere Süßigkeiten herzustellen. Im kleinen Ort Sinun, 40 Kilometer westlich von ihrem Heimatort Hardan, findet sie bald darauf einen Job in einer Konditorei. Sie bekommt ein ordentliches monatliches Gehalt und ihr Chef gibt ihrer Familie Baumaterial auf Kredit, mit dem sie ihr Haus wiederaufbauen kann. 

Wafa’a und ihre Familie haben Schulden, aber ihre Situation hat sich deutlich verbessert: „Meine Mutter ist glücklich, dass ich ein Gehalt bekomme. Wir wohnen wieder in unserem Haus, können zum Arzt gehen und Schulkleidung für die Kinder kaufen. Und ich fühle mich einfach viel wohler.“  

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Perspektiven für ein selbstbestimmtes Leben 

Menschen wie Wafa’a gibt es viele im Irak. Aus unterschiedlichen Gründen haben sie ihre Heimat verlassen. Irgendwann kehren sie zurück, meist ohne klare Perspektive. Seit 2014 unterstützt die GIZ die irakische Regierung im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) und der Europäischen Union (EU) dabei, Rückkehrer*innen zu versorgen. Ziel ist es, ihre Lebenssituation und Gemeinden, die sie aufnehmen, gleichermaßen zu verbessern. 

Weiterbildungen und berufliche Qualifizierungsangebote, finanzielle Zuschüsse und Schulungen für Unternehmensgründungen sowie die Vermittlung von Jobs sorgen dafür, dass die Menschen vor Ort bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. „Wir unterstützen sie dabei, langfristig für sich und ihre Familien Perspektiven für ein Leben im Irak zu entwickeln. Gleichzeitig verbessern wir durch die teilweise neu gegründeten Unternehmen so auch die Grundversorgung in den Gemeinden – zum Beispiel mit Dienstleistungen im Handwerk, der Lebensmittelversorgung, oder der Telekommunikation – und kurbeln die lokale Wirtschaft an“, sagt Thomas Schaef, der als Landesdirektor für die Arbeit der GIZ im Irak verantwortlich ist. Insgesamt mehr als 30,000 Personen haben seit 2014 an Aus- und Weiterbildungen der GIZ im Irak teilgenommen, daraus sind fast 950 neue Kleinunternehmen und Selbstständige entstanden.

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Internet-Startup sorgt für Bildung in Corona-Zeiten

Einer von ihnen ist der 30-jährige Omar: In seiner Heimatstadt Khanaqin in der Nähe von Bagdad hat auch er sich eine neue Existenz aufgebaut. 2014 war er über die Türkei ins fränkische Nürnberg nach Deutschland ausgewandert, weil er sich bessere Jobmöglichkeiten und Perspektiven erhofft hatte. Er lernte dort Deutsch, aber fand keinen Job und lebte zunächst von Sozialhilfe. Ganz allein in dem fremden Land vermisste Omar seine Familie und Freunde – nach sechs Jahren und fünf Monaten war keine Besserung in Sicht und er entschied sich, seine Zelte abzubrechen. 

Zurück in Khanaqin arbeitet er zunächst als Verkäufer in einem Mobilfunk-Laden. Dann kommt Corona – und verändert alles: Die Menschen in seiner Stadt können nicht mehr zur Arbeit gehen, in die Schule oder nach Bagdad in die Universität. Das ist ein Problem, denn längst nicht alle Haushalte haben Zugang zu ausreichend schnellem Internet, um online lernen oder arbeiten zu können.

Der technisch versierte Omar hat eine Idee: Er will ein eigenes Internetservice-Unternehmen gründen und die Menschen in Khanaqin mit der digitalen Welt verbinden. Wie Wafa’a wird auch er auf ein Trainingsprogramm der GIZ aufmerksam. Dort lernt er, wie man ein Unternehmen gründet und führt. Außerdem erhält er die technische Ausrüstung, die er braucht, um mit seinem Business loszulegen.

Im April 2021 ist es soweit: Omar geht mit seinem Unternehmen an den Start. Er richtet den Familien bzw. Kunden nicht nur Internetzugänge ein, sondern erklärt ihnen auch, wie sie die Geräte nutzen und warten – für die ärmeren unter ihnen macht er das sogar gratis. Seine Preise liegen deutlich unter denen der großen Serviceanbieter. Als Selbstständiger kann er günstiger anbieten als große Firmen und behält dennoch genug zum Leben. Das spricht sich schnell herum: Innerhalb weniger Monate ist Omar der wichtigste Internetdienstleister in Khanaqin. „Viele Menschen grüßen mich auf der Straße und bedanken sich bei mir”, erzählt er stolz. „Sie sagen, ohne meine Arbeit würden es die Kinder, Schüler*innen und Student*innen in der Gegend nicht durch die Krise schaffen.” 

Mehr als die Hälfte aller Einsatzländer der GIZ gelten als fragil

Dass die GIZ in Krisenregionen wie dem Irak für die deutsche Bundesregierung aktiv ist, ist nicht ungewöhnlich: Mehr als die Hälfte aller Einsatzländer der GIZ weltweit gelten als fragil. „Die Arbeit in Konfliktländern erfordert ein hohes Maß an Sensibilität und vor allem Flexibilität“, sagt Schaef. „Mit unseren speziell ausgebildeten Expert*innen, umfassenden Kenntnissen der Verhältnisse vor Ort und unseren internationalen Netzwerken unterstützen wir unsere lokalen Partner dabei, die Situation im Land nachhaltig zu verbessern.“