26.01.2021
Äthiopien: „Eine Pandemie kann man nur gemeinsam bekämpfen“
Im Interview mit der Agentur für Wirtschaft & Entwicklung (AWE) erklärt Joost Hemmelder von Tradin Organic, was das Lebensmittelunternehmen aus dem Umgang mit der Pandemie gelernt hat.
AWE: Herr Hemmelder, Corona ist längst in Äthiopien angekommen und stellt die dortige Wirtschaft vor große Herausforderungen. Wie waren Tradin Organic und die lokalen Werke Ihrer Schwesterunternehmen Sunvado und Selet Hulling von den Auswirkungen der Pandemie betroffen?
Hemmelder: Mit dem Aufbau der Lieferketten für Avocado und Sesamöl in Äthiopien betraten wir in vielerlei Hinsicht Neuland. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist die Avocado-Verarbeitung. Obwohl ein großer Teil des äthiopischen Obst-Ackerlandes von Avocado-Bäumen bedeckt ist, fungieren diese meist nur als Schattenspender. Wir wollten die reifen Früchte nun für den Lebensmittelhandel nutzen und dafür erstmals eine marktorientierte und wettbewerbsfähige Wertschöpfungskette aufbauen. Zu unserer großen Freude lief das Projekt mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH sehr gut an. Doch als Corona Anfang des Jahres plötzlich ausbrach, stellte uns die Situation vor viele unerwartete Herausforderungen. Die Sicherheit unserer Mitarbeiter hatte für uns höchste Priorität. Um die Lage genau einschätzen zu können und bestmögliche Vorsorgevorkehrungen zu treffen, stellten wir den Betrieb unserer lokalen Fabriken von April bis Mai ein. Nicht zuletzt dank der zusätzlichen Unterstützung der GIZ im Rahmen des Covid-Response-Programms konnten wir diese Zeit produktiv nutzen. Wir entwickelten ein ganzheitliches Konzept für die effiziente und sichere Wiederaufnahme unserer Produktion und schulten unsere Mitarbeiter und Lieferanten zu den veränderten Arbeitsbedingungen.
Welche Maßnahmen haben Sie konkret umgesetzt?
Vor allem wollten wir das Arbeitsumfeld unserer Mitarbeiter und Zulieferer so krisensicher wie möglich machen. Dazu haben wir bauliche Anpassungen in den Fabriken vorgenommen und beispielsweise Arbeitsflächen vergrößert oder Sanitäreinrichtungen verbessert. Dort, wo mobiles Arbeiten möglich ist, besorgten wir zusätzliches Equipment für virtuelle Meetings. Außerdem führten wir in Zusammenarbeit mit lokalen Hygiene-Inspektoren Schulungen zu Corona-Schutzmaßnahmen durch und setzten regelmäßige Gesundheitschecks an. Darüber hinaus stellten wir Hygieneartikel bereit und beteiligten uns an mit COVID-19 verbundenen Arztkosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen wurden. Besonders beeindruckend fand ich, dass bei der Umsetzung der Schutzmaßnahmen alle an einem Strang zogen – von unseren eigenen Mitarbeitern bis hin zu unseren Partnern bei der GIZ. Und das hat sich ausgezahlt. Seit Mai sind unsere Fabriken wieder geöffnet und seither gab es keine nennenswerten Corona-bedingten Ausfälle.
Tradin Organic stand als internationales Unternehmen einer weltweiten Pandemie gegenüber, die letztlich alle Unternehmensstandorte betraf. Inwiefern unterschied sich die Situation in Äthiopien für Sie von der in anderen Ländern?
In Äthiopien, wie in vielen anderen Entwicklungsländern, wurde die Situation außerdem durch den Lebensstandard und die lokalen politischen Bedingungen beeinflusst. In Europa gab es zum Ausbruch der Pandemie deutlich mehr staatliche Unterstützung und einen verlässlicheren Informationsfluss. Da die wirtschaftliche Situation der äthiopischen Bevölkerung um einiges instabiler ist, als zum Beispiel die unserer Beschäftigten am Hauptsitz in den Niederlanden, waren auch die Ängste der dortigen Mitarbeiter größer. In Äthiopien gibt es weniger Alternativen, wenn man seinen Job verliert, und ein finanzieller Puffer oder ein soziales Rettungsnetz fehlt oft. Im Umgang mit der Pandemie bedeutete das für uns, dass das Schaffen einer Vertrauensbasis zwischen dem Unternehmen und den Mitarbeiten und Zulieferern höchste Priorität haben musste. Wir wollten den Leuten die Sicherheit geben, dass sie bei Problemen offen mit uns sprechen können und ihre Jobs auch im Krankheitsfall sicher sind. Wir haben deutlich mehr Zeit darauf verwendet, Schutzmaßnahmen zu erklären und das Bewusstsein für deren Notwendigkeit zu schärfen als andernorts.
Wieso haben Sie sich zum Aufbau der Lieferketten und die spätere Einführung der Corona-Schutzmaßnahmen für eine Kooperation im Rahmen des develoPPP.de Programms entschieden?
Wenn man als Unternehmen in Entwicklungsländern wie Äthiopien in puncto Nachhaltigkeit vorankommen möchte, braucht man multidisziplinäre Partnerschaften und Kooperationen. Hier sind große, internationale Organisationen wie das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) und die GIZ fachlich und finanziell natürlich ganz anders aufgestellt und vernetzt als private Unternehmen. Bereits beim Aufbau der Wertschöpfungskette für Avocado- und Sesamöl haben wir sehr gute Erfahrungen mit dem effizienten Herangehen der Kollegen von develoPPP.de gemacht. Und als die Pandemie plötzlich die Sicherheit unserer Mitarbeiter und das Aufrechterhalten unserer Lieferketten bedrohte, war es uns umso wichtiger, einen starken Partner an unserer Seite zu haben der uns half, die notwendigen Schutzmaßnahmen so schnell wie nötig umzusetzen. Einer der Hauptgründe für uns, um mit der GIZ zusammenzuarbeiten, war, dass sie sehr früh sehr proaktiv vorausdachten und finanzielle und technische Unterstützung für Corona-Maßnahmen anboten.
Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit mit der GIZ vor Ort?
Was mir besonders gut gefällt, ist die pragmatische Herangehensweise aller Beteiligten. Auch wenn wir uns alle plötzlich in einer völlig neuen Situation befanden, mit unklaren Bestimmungen und einem hohen Maß an Unsicherheit, haben alle Kollegen in Deutschland, den Niederlanden und Äthiopien zu jeder Zeit effektiv kommuniziert und so viele Schwierigkeiten überwunden.
Gibt es Lehren, die Sie für die Zukunft aus dieser schwierigen Situation ziehen können?
Die Krise hat uns darin bestärkt, auch künftig vermehrt in den Austausch mit unseren Mitarbeitern zu gehen und sie aktiv in wichtige Entscheidungsprozesse zu involvieren. Wir haben gemerkt, wie kreativ und flexibel unsere Leute auch in Ausnahmesituationen sind und wie wichtig gegenseitiges Vertrauen im Krisenfall ist. Eine Pandemie kann man schließlich nur gemeinsam bekämpfen.