22.07.2020

„Die Suche danach, was den Unterschied ausmacht“

Das Data Lab der GIZ analysiert statistische Ausreißer in Datensätzen, um innovative Lösungen zu entdecken. Ein Modell, das auch Rückschlüsse zur Corona-Pandemie verspricht.

Mit Mobilfunkdaten die Wirkung eines Vorhabens messen? Satellitenbilder für eine Datenerfassung verwenden? Künstliche Intelligenz für die Beratung von Kleinbauern nutzen? Mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH in ihrem 2019 gegründeten Data Lab. Mit dem „Data Powered Positive Deviance“ Ansatz testet das Lab nun ein Vorgehen, das bisherige Methoden auf den Kopf stellt.

Im Interview berichten Data Lab Koordinatorin Catherine Vogel und Berater Andreas Glücker, wie sie in ihrem Projekt statistische Ausreißer in Datensätzen nicht wie sonst üblich „abschneiden“, sondern sie im Gegenteil gezielt suchen. Dahinter steckt die Überzeugung, dass diese „Positive Deviants“ einen großen Mehrwert für die Entwicklungszusammenarbeit liefern können – auch im Kontext der aktuellen COVID-19-Krise.

Was steckt hinter dem Positive Deviance Ansatz und warum beschäftigt sich die GIZ überhaupt damit?

Catherine Vogel: Datensätze werden meist dazu genutzt, um durchschnittliche Werte für das Verhalten von Gruppen oder Einzelpersonen zu gewinnen – statistische Ausreißer dagegen häufig verworfen. Ungewöhnliche positive Abweichungen in den Daten zeigen aber, dass es trotz ähnlicher Bedingungen und Herausforderungen Personen oder Gruppen gibt, die besser abschneiden als ihre Vergleichsgruppen. Dies können zum Beispiel Dörfer sein, deren Reisernte höher ausfällt als andere Orte mit ähnlichen Anbaubedingungen; Stadtteile, die im Vergleich wenig Kriminalität erleben; oder Krankenhäuser, die es trotz Pandemien meistern, ihre Versorgung aufrecht zu erhalten. Durch unsere Pilotprojekte möchten wir verstehen, welche Verhaltensweisen diese ungewöhnlichen Leistungen ermöglichen und ob sie übertragbar sind. Das Ziel dahinter ist es, ungewöhnliche und innovative Lösungen zu finden, die diese Abweichung möglich machen. Der Positive Deviance Ansatz besteht schon seit den 90er Jahren; unser Projekt nutzt nun die Möglichkeiten von Big Data, um die positiven Abweichler zu identifizieren.

Was sind die Herausforderungen dabei?

Catherine Vogel: Die größte Hürde für die Analyse von Positive Deviance ist die Verfügbarkeit von Daten. Wir benötigen aktuelle und umfassende Daten, um verlässliche Rückschlüsse zu positiven Abweichungen ableiten zu können. Digitale Quellen wie Satellitenbilder oder Mobilfunkdaten bieten großes Potenzial, sind aber nicht immer zugänglich. Hier arbeiten wir mit internationalen Partnern zusammen. Die Bestätigung, dass sich in den Daten gefundene Ausreißer auch in der Praxis wiederfinden und die Suche danach, was den Unterschied ausmacht, ist dann die nächste große Aufgabe. Wenn uns das gelingt, haben wir einen großen Schritt getan, die lokale Kreativität viel stärker in Wert zu setzen.

Welche Praxiserfahrungen gibt es bisher?

Andreas Glücker: Aktuell nutzen wir den Positive Deviance Ansatz in sieben verschiedenen Ländern und arbeiten eng mit den Projekten vor Ort zusammen. In Ecuador suchen wir nach Farmern, die innerhalb des Amazonasgebietes seit vielen Jahren Landwirtschaft betreiben und entgegen der verbreiteten Praxis nicht abholzen. In Somaliland versuchen wir positive Verhaltensweisen zu finden, die es Viehhirten ermöglicht, ihre Herden ohne große Verluste durch Dürreperioden zu bringen. Für all diese Projekte entsteht ein großer Mehrwert durch die Kombination digitaler, quantitativer Daten mit der umfassenden Expertise zu lokalen Begebenheiten, die wir vor allem durch die involvierten GIZ Projekte sicherstellen können.

Welchen Nutzen könnte diese Methode nun haben, um die Ausbreitung des Coronavirus besser zu verstehen?

Catherine Vogel: In der COVID-19 Krise haben wir in Deutschland diejenigen Landkreise gesucht, die es geschafft haben, die Ausbreitungsrate von COVID-19 deutlich schneller zu verringern, als zu erwarten wäre. Dabei konnten wir tatsächlich Landkreise identifizieren, die sich hier positiv abheben, obwohl alle bekannten positiven Einflussfaktoren schon berücksichtigt wurden. Das sind spannende Entwicklungen, die neue Erkenntnisse hinsichtlich besonderer Verhaltensweisen während einer Pandemie liefern können.

Wie ist das Vorgehen dabei? Gibt es schon erste Ergebnisse?

Andreas Glücker: Im ersten Schritt ist es wichtig, Vergleichbarkeit herzustellen, um nicht die berühmten Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Wir haben Landkreise also nach Faktoren wie Bevölkerungsdichte gruppiert. Dann haben wir mit Hilfe von Mobilitätsmustern, auf Basis von Mobilfunk- sowie Wetterdaten, ein Modell künstlicher Intelligenz trainiert. Durch dieses Modell haben wir anschließend die jeweilige Ausbreitung vorhergesagt. Wenn die tatsächlichen Werte des Robert Koch-Instituts bei einem Landkreis deutlich besser sind als unser vorhergesagter Wert, haben wir Hinweise auf noch unentdeckte Faktoren oder Verhaltensmuster. Dies gilt es dann natürlich genauer zu untersuchen. Diesen Ansatz haben wir unter anderem in einem Nachhaltigkeits-Hackathon von Siemens eingebracht und dabei den Preis in der Kategorie „Sustainability Impact“ gewonnen.

Und wie geht es weiter?

Catherine Vogel: Die Ergebnisse aus dem COVID-19 Piloten sind vielversprechend und wir werden die identifizierten Landkreise genauer unter die Lupe nehmen. Aber auch unsere anderen Ansätze haben großes Potenzial, die Entwicklungszusammenarbeit um eine Methode zu ergänzen, die sich erst auf die Suche nach existierenden Lösungen macht, bevor man möglicherweise das Rad neu erfindet.

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