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28.10.2021

Nur noch 99 Monate, um die Klimakrise auszubremsen

Der Weg zum Klimaschutz führt über den Verkehr. Ein Beitrag von GIZ-Vorstandsmitglied Ingrid-Gabriela Hoven.

Das Ziel, den Klimawandel aufzuhalten, ist gesteckt. Nun gilt es, den Weg dorthin festzulegen – und eine direkte Route führt über den Faktor „Verkehr“. Weltweit stammt ein Viertel aller Treibhausgas-Emissionen aus diesem Sektor; und obwohl wir wissen, wie wir gegensteuern können – etwa durch mehr Rad- und Fußverkehr, Busse und Bahnen, Elektromobilität – haben wir es bisher nicht geschafft, die verkehrsbedingten Emissionen signifikant zu senken. Weder in Deutschland, wo wir bis 2030 die Treibhausgas-Emissionen um 65 Prozent reduzieren möchten, noch weltweit. Klar ist: Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung; kein Land kann dies alleine angehen. Was wir brauchen ist ein entschiedenes globales Umdenken und klugen Ausbau der internationalen Kooperation.

Die Krise als Chance für nachhaltige Mobiltät

Dazu gehört, nachhaltige intelligente urbane Mobilität zu fördern. Das funktioniert in Deutschland ebenso wie global, etwa mithilfe von Corona-Konjunkturprogrammen zur Ankurbelung der Wirtschaft. Nutzen wir die Krise als Chance, konsequent für nachhaltige Investitionen, für die sogenannte grüne Wirtschaftsbelebung, einzustehen und althergebrachte Muster zu hinterfragen. Und nicht etwa weiterhin, wie der Internationale Währungsfonds kürzlich ausrechnete, mit elf Millionen Dollar pro Minute fossile Energien zu subventionieren. Sondern stattdessen mit elf Millionen Dollar pro Minute nachhaltige Mobilität zu fördern.  

Weltweit investieren Regierungen insgesamt 20 Billionen Euro in eine Zukunft nach der Pandemie. Das ist das 40-Fache des Bundeshaushalts. Während man sich in früheren Krisen  – Ölkrise, Finanzkrise – meist auf das unmittelbar Ökonomische konzentriert hat, um den Wirtschafts-Motor wieder zum Laufen zu bringen, können wir mit diesen öffentlichen Mitteln jetzt Veränderungen im Sinne einer sozial gerechten, nachhaltigen grünen Wirtschaftsbelebung (Green Recovery) anstoßen.

Das schließt das Thema Verkehr ein: Die Corona-Konjunkturprogramme sollten dazu dienen, althergebrachte Muster zu hinterfragen und alle administrativen, planerischen und ökonomischen Ansätze dahingehend zu prüfen, ob sie einen Beitrag zu Dekarbonisierung des Verkehrs leisten und gleichzeitig die Wirtschaft wiederaufbauen können – insbesondere im globalen Süden. Durch die Lockdowns wurde der öffentliche Verkehr weit gedrosselt. Zudem hatten die Städte in den Entwicklungs- und Schwellenländern in dieser Zeit bis zu 90 Prozent weniger Einnahmen – und das ohne Rettungsschirme. In der Folge wurden wichtige Investitionen – sei es in nachhaltigen öffentlichen Nahverkehr oder in klimafreundliche Technologien – zurückgestellt.

Moderne Verkehrssysteme als Wirtschaftsmotor

Ein Beispiel, wie sehr Verkehr und Wirtschaft zusammenhängen: In der nigerianischen Metropole Lagos – so wie in anderen Großstädten auch – sind Pendelzeiten von mehr als vier Stunden täglich keine Seltenheit. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft der betroffenen Länder – Güter kommen nicht an, Menschen erreichen ihren Arbeitsplatz, das Krankenhaus oder die Schulen nicht. Wir sehen: Ohne den Nahverkehr als Rückgrat geht es weltweit einfach nicht. Wir müssen Verkehr vermeiden, effizienter machen und auf umweltfreundliche Technologien umstellen – und dazu die Corona-Finanzierungen nutzen. Konkret bedeutet das, nicht nur die unmittelbaren Folgen der Krise abzufedern, so richtig und wichtig das ist, sondern langfristig strukturbildend zu wirken.

Für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH ist dabei das Thema Verkehrswende ein wichtiges Handlungsfeld – weltweit arbeiten 400 Kolleginnen und Kollegen mit Ländern und Kommunen daran, Mobilität zukunftsfähig zu entwickeln. Dabei geht es um diverse Ansätze: um Städtebau und Infrastruktur, um nachhaltigen öffentlichen Nahverkehr, neue Technologien und nachhaltige Brennstoffe. Viele unserer Kooperationsländer haben beeindruckende Initiativen für den Wandel in Gang gesetzt: Chile investiert aktuell 2,5 Milliarden Dollar in die Modernisierung seines öffentlichen Nahverkehrs. Mexiko, Kolumbien und Peru haben in ihren Hauptstädten während der Pandemie hunderte Kilometer Fahrradwege angelegt. Das sind nur wenige Beispiele, die zeigen, dass gerade auch Länder im globalen Süden die Bedeutung des Themas erkannt haben. Mit Blick auf die kommende Weltklimakonferenz (COP) in Glasgow zeugt es von Realitätssinn, dass drei Viertel aller Nationalen Klimaschutzprogramme ganz konkret CO2-Minderungen im Verkehr als wichtigen Faktor benennen. Deshalb steht das Thema Verkehr zu Recht auf der Agenda der COP weit oben. Jetzt ist der Zeitpunkt, um konkrete, verbindliche und nachprüfbare Aktionspläne zu beschließen. Denn uns bleiben bis 2030 weniger als 99 Monate, um die Klimakrise auszubremsen.

Zuerst erschienen in: Tagesspiegel Background (28.10.2021)

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