13.04.2021
„In Tunesien gibt es die IT-Fachkräfte, die in Deutschland fehlen.“
Die Initiative „Tech216“ bringt deutsche Unternehmen mit der tunesischen Tech-Industrie zusammen. Die BMW Group ist seit einem Jahr Pilotpartner.
Tunesien gilt als Geheimtipp in Nordafrika. Die digitale Wirtschaft gehört zu den am schnellsten wachsenden Branchen des Landes. Sie trägt mehr als elf Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Die Initiative „Tech216“ des Digitalzentrums Tunesien fördert die Zusammenarbeit zwischen europäischen Unternehmen und tunesischen IT-Firmen und -Talenten, indem sie als zentrale Anlaufstelle für Kooperationen verschiedene Beratungs- und Serviceleistungen bietet. Entwickelt wurde sie von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH gemeinsam mit Partnern. Auftraggeber ist das Bundesentwicklungsministerium (BMZ), das Tech216 im Rahmen der Sonderinitiative Ausbildung und Beschäftigung fördert.
Pilotprojekte zwischen der BMW Group und zwei tunesischen IT-Dienstleistern laufen seit Frühjahr 2020. Im Interview sprechen Moritz Hunger, Projektleiter Tech216 bei der GIZ, und Dr. Andreas Bootz, der den Bereich Systemgestaltung und Integration bei der BMW Group leitet, über Tech 216 und erste Erfahrungen.
Herr Hunger, was steckt hinter der Initiative, welche Ziele verfolgt sie?
GIZ: In Deutschland gibt es Aufträge und in Tunesien gibt es gut ausgebildete IT-Fachkräfte, die in Deutschland fehlen. Diese sind bei gleicher Qualifikation ein attraktiver Partner für die Unternehmen in Europa. Das ist in Deutschland noch weitestgehend unbekannt und daher ungenutzt. Tech216 möchte diese Vorteile für deutsche und europäische Firmen zugänglich machen.
Herr Dr. Bootz, die BMW Group ist Pilotpartner. Was hat Sie bewegt mitzumachen? Welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht?
Der Mangel an hochqualifizierten IT-Fachkräften in Europa ist bekannt. Daher bezieht die BMW Group IT-Dienstleistungen weltweit. Durch Tech216 konnten wir schnell Kontakt zu potenziellen Lieferanten in Tunesien aufbauen. Wir haben dafür an einer „Discovery Tour“ in der Hauptstadt Tunis teilgenommen, um einen Überblick über den lokalen Lieferantenmarkt zu erhalten. Das ging schnell und war bestens organisiert. Seither haben wir mehrere IT-Projekte mit tunesischen Lieferanten erfolgreich abgeschlossen und konnten damit auch fertige Produkte umsetzen.
Wodurch zeichnen sich die Digitalwirtschaft und der Standort aus?
M. Hunger: Der Staat sieht im Digitalsektor und seiner Dynamik einen wichtigen Schlüssel für die Modernisierung der Wirtschaft des Landes. Immerhin bieten mehr als 1.600 Unternehmen über 100.000 gut bezahlte Arbeitsplätze. Neben der geographischen Nähe zu Europa und dieselben Zeitzone verfügt Tunesien auch über einen großen Pool an IT-Fachkräften.
Dr. A. Bootz: Absolut. Mehr als 7.000 IT-Ingenieure absolvieren jährlich Universitätslehrgänge. Das ist ein enormes Potenzial an jungen und gut ausgebildeten Fachkräften, das auch neue Kompetenzfelder einschließt. Die stetig steigende Anzahl der IT-Unternehmen zeigt die Dynamik des Marktes. Während unserer „Discovery Tour“ konnten wir neben etablierten Unternehmen auch fünf innovative Start-ups kennenlernen, die unter anderem mit Künstlicher Intelligenz (KI) in den internationalen Wettbewerb eintreten. Es geht also nicht nur um die Entwicklung von Standard-Apps.
M. Hunger: Hinzu kommen ein leistungsfähiges 4G-Netz und ein stark wachsendes Start-up-Ökosystem: Allein 2019 gab es mehr als 500 Neugründungen, die Mehrheit sind Start-ups, deren Dienstleistungen substanzielle wissenschaftliche und technische Herausforderungen lösen wollen („Deep Tech“).
Herr Dr. Bootz, gab es neben den positiven Erfahrungen auch Herausforderungen?
Die gab es bei der Qualifizierung des Lieferanten für unsere internen Prozesse. Zudem muss ein Lieferant ein Projekt selbständig führen und Lösungsansätze entwickeln können. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, wenn ein*e Projektleiter*in des Lieferanten bereits Erfahrungen in Deutschland vorweisen kann.
Grundsätzlich haben viele IT-Unternehmen in Tunesien bereits etablierte Lieferantenbeziehungen zu anderen europäischen Konzernen. Die Sprachbarriere war kleiner als erwartet und die hohen Standards für die Zusammenarbeit, zum Beispiel zur Datensicherheit, wurden von einigen Lieferanten bereits vorab erfüllt.
Herr Hunger, was hat sich „Tech216“ für 2021 und die Folgejahre vorgenommen?
Wir entwickeln das Angebot stetig weiter. Dafür untersuchen wir regelmäßig die Bedarfe europäischer Unternehmen. Ziel ist es, weitere erfolgreiche Projekte, wie das Pilotprojekt mit BMW, auf den Weg zu bringen. Dazu gehört auch die Vermittlung von zusätzlichen Fähigkeiten sowie Zertifizierungen, die wir durch einen bestimmten Kompetenzaufbau („Upskilling“) bedarfsorientiert anbieten.