Interview mit der Akademieleitung Sook-Jung Dofel: Künstliche Intelligenz im Corporate Learning

Bei der Kompetenzentwicklung in Unternehmen ist Künstliche Intelligenz (KI) das Trendthema. KI wird sowohl bei der Erstellung von Lerninhalten als auch beim Lernen selbst eingesetzt. Im Interview spricht Sook-Jung Dofel, Leiterin der Akademie für Internationale Zusammenarbeit (AIZ), über Chancen und Risiken von KI im Corporate Learning.

Frau Dofel, beginnen wir mit der Begriffsklärung. Was verstehen Sie unter KI? 

Wenn ich von KI spreche, meine ich generative KI. Das ist eine spezifische Form von Künstlicher Intelligenz, die auf maschinellem Lernen basiert. Sie generiert neue Daten auf Grundlage eines großen Datensatzes. Eine bekannte generative KI ist ChatGPT. Diese Technologie wird in verschiedenen Bereichen angewendet, wie der Erstellung von Texten oder visuellen Inhalten. Sie kann mir helfen, eine E-Mail oder auch Lerninhalte zu verbessern. 

Die KI kann also den Arbeitsalltag von Beschäftigten im Corporate Learning, sogenannten Lernexpert*innen, erleichtern: Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Die KI kann mich beispielsweise dabei unterstützen, Lernmaterialien schneller zu erstellen. Wenn ich die KI dabei auch als Didaktik-Coach einsetze, verbessert sich zudem auch die Wirksamkeit meines Lernangebotes. ChatGPT ist sehr nützlich, wenn es darum geht, zusätzliches Lernmaterial zu entwerfen, zum Beispiel Quizfragen oder Rollenspiele. 

Eine Fähigkeit der KI finde ich für das Corporate Learning besonders interessant: 
Die Personalisierung von Lerninhalten ist der heilige Gral des Corporate Learning. Generative KI ermöglicht personalisierte Lernerfahrungen, indem sie Inhalte, Tempo und Feedback an die Bedürfnisse und den Lernstil jedes Lernenden anpasst. Es gibt heute schon Schulen, die ihren Schüler*innen mittels KI maßgeschneiderte Lerninhalte aufgrund erst am Vortag absolvierter Selbsttests anbieten. Personalisierte Lernangebote fördern nicht nur die Motivation, sondern auch eine Kultur des kontinuierlichen Lernens, indem sie das Lernen zu einem individuellen Erlebnis machen. Der Lerninhalt holt mich da ab, wo ich mit meinem Lernniveau stehe. Von allen Vorteilen der KI ist es die Personalisierung, von der ich als Lernende am meisten profitiere. 

Das waren viele Pro-Punkte. Wie sieht es mit den Risiken von KI im Corporate Learning aus? 

Ein riskanter Punkt ist sicher, dass KI sich irren kann. ChatGPT ist keine Suchmaschine. Das System liefert kein Wissen, sondern errechnet bloß Wahrscheinlichkeiten. Dabei kommen auch mal irreführende oder gar falsche Informationen heraus, weil sich die KI auf Basis dieser Wahrscheinlichkeiten neue Inhalte „ausdenkt“. Deshalb muss besonders bei komplexen und sensiblen Inhalten immer ein Mensch den letzten Check machen. 

Ein weiteres Risiko ist der Datenschutz. Persönliche Daten oder interne Informationen sollten der KI nicht zur Verfügung gestellt werden. Eine Lösung für dieses Problem kann sein, einen eigenen Chatbot zu entwickeln. Der GIZ-Bot »KIM« ist seit 2023 mit einer Version von ChatGPT verknüpft, die nur unternehmensintern arbeitet. So können GIZ-Beschäftigte die KI in einer sicheren Umgebung nutzen. »KIM« ist Teil der IT-Infrastruktur der GIZ, so bleiben alle Daten in der „cloud“ der GIZ. Das schützt unsere Daten. 

Ein letztes bekanntes Problem ist, dass KI Vorurteile reproduzieren kann. Generative KI wird mit menschlich generierten Daten gefüttert und übernimmt die darin enthaltenen Stereotype. Auch hier ist der Faktor Mensch entscheidend. Ich als Lernexpertin muss die Inhalte prüfen und sicherstellen, dass sie repräsentativ und inklusiv sind. 

Wo wir beim Faktor Mensch sind: Einige Arbeitnehmer*innen fürchten, dass ihnen eine KI den Arbeitsplatz wegnimmt. Ist das eine berechtigte Sorge?

Ich sehe das so: Die künstliche ist eine Stütze der menschlichen Intelligenz. Sie verbessert, ergänzt oder macht Vorschläge. KI braucht einen Menschen, der gut mit ihr umgehen kann, um selbst gute Ergebnisse zu liefern. Nur menschliche Lernexpert*innen kennen die Ziele, die Kultur, aber auch die Kompetenzbedarfe ihrer Unternehmen. Sie sind es, die sich über neue Trends im Corporate Learning informieren und Inhalte mit Partnern abstimmen. Damit werden empathische und strategisch denkende Lernexpert*innen die wichtigste Zutat für erfolgreiches Lernen bleiben.

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Welche Fähigkeiten müssen Lernexpert*innen jetzt entwickeln? 

Im Corporate Learning wird der Einzug von Künstlicher Intelligenz die Ressourcenverteilung verändern. Die Lernexpert*innen der Zukunft werden weniger administrativ und stärker konzeptionell arbeiten. Bei der Erstellung von Lerninhalten lassen sich Zeit und Ressourcen einsparen, die stattdessen dafür eingesetzt werden können, Lernerlebnisse der Kund*innen zu optimieren. 

Darüber hinaus sollten wir alle den Einsatz von KI als wichtige Kompetenz bei uns selbst betrachten und uns fragen, wie gut wir mit der KI zusammenarbeiten können. Der Begriff der »Fusion Skills« gefällt mir gut. Wer sie beherrscht, bringt beide Welten – Mensch und Maschine – zusammen. Wer KI geschickt in den Arbeitsalltag integriert, kann Lernenden eine optimale Entwicklung ermöglichen und sie fit für die Arbeitswelt der Zukunft machen. 

An KI vorbeikommen wird niemand. Künstliche Intelligenz verändert als transformative Innovation unsere Arbeitswelt. Deshalb bin ich überzeugt: Wer KI nicht als Bedrohung, sondern Erweiterung seiner Fähigkeiten begreift, wird erfolgreich bleiben. 

 

Nachdem Sie erläutert haben, wie sich künstliche Intelligenz im Bereich des Corporate Learning nutzen lässt: Welchen Einfluss hat der Einsatz von KI auf die operative Arbeit der GIZ vor Ort?

Die GIZ setzt KI bereits erfolgreich ein. Beispielsweise bei Projekten zur Cashew-Produktion in Ghana: KI analysiert dort Drohnenaufnahmen und hilft dabei, kranke Cashewbäume zu identifizieren. In einem Projekt in Ruanda gibt KI Gesundheitstipps. Außerdem beraten wir zunehmend zu KI-basierten Lösungen in unseren Partnerländern, unterstützen bei der Einführung und Nutzung verantwortungsvoller und menschenzentrierter KI. Dazu stellen wir uns selbst natürlich die Frage, wie wir KI auch intern, also für unsere eigenen Prozesse, verwenden können. Als Mitglied im Kernteam für die Gesamtkoordination zum Thema Künstliche Intelligenz in der GIZ finde ich es unglaublich spannend, was hier alles möglich ist. 

Zur Person: 
Sook-Jung Dofel arbeitet seit 2008 bei der GIZ beziehungsweise bei der GTZ, davon neun Jahre in Malawi, Kamerun und Ecuador. Von 2017 bis 2021 führte sie die Gruppe Strategie in der Unternehmensentwicklung. Seit Juli 2021 leitet sie die Akademie für Internationale Zusammenarbeit (AIZ).