In der libyschen Gesellschaft sind Frauen oft benachteiligt und wenig sichtbar. Frauenzentren schaffen sichere Orte für Frauen, um sich auszutauschen, neue Fähigkeiten zu erlernen und so zu einem Wandel beizutragen.
Selbstbewusst präsentieren die Unternehmerinnen Masken und medizinische Kittel aus eigener Herstellung. Es ist Tag der offenen Tür im Frauenzentrum in Hay Al-Andalus, der drittgrößten Gemeinde Libyens nahe der Hauptstadt Tripolis. Die Frauen nutzen die Gelegenheit und erklären Besucherinnen und Besuchern, wie sie ihr Textil-Start-up aufgebaut haben: Im Frauenzentrum lernten sie nicht nur nähen, sondern nahmen auch an einem Business-Kurs teil. So konnten sie ein Geschäftsmodell entwickeln und eine Webseite aufsetzen, um ihre Waren zu verkaufen. Auf Grund der anhaltenden Corona-Pandemie produzieren und verkaufen die Gründerinnen aktuell Schutzausrüstung, die gerade überall benötigt wird. Aber auch andere Produkte, wie Schuluniformen sind Teil ihres Angebots. Mittlerweile besuchen sie das Zentrum täglich und erarbeiten mit den dort bereitgestellten Nähmaschinen und einigen Mitstreiterinnen ein eigenes Einkommen.
In dem Land am südlichen Mittelmeer dominieren Männer das öffentliche Leben und den Arbeitsmarkt. Nur acht Prozent von ihnen sind der Meinung, dass Frauen sich allein außerhalb des eigenen Zuhauses aufhalten sollten. Mehr als zwei Drittel der Frauen gehen keiner bezahlten Arbeit nach, obwohl sie den gleichen oder sogar einen höheren Bildungsstand haben.
Ein Ort für neue Chancen und neue Fähigkeiten
Deshalb engagiert sich die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) und der Europäischen Union (EU) in Libyen, indem sie landesweit Frauenzentren aufbaut. In den kommunalen Einrichtungen finden Anwohnerinnen einen Ort, an dem sie unter sich sind, sich austauschen und weiterbilden können. Allein durch ihre Existenz sorgen die Zentren für einen gesellschaftlichen Wandel, ist sich Vittoria Capresi, die als Architektin für das Projekt arbeitet, sicher: „Die Gebäude machen die Frauen und ihre Bedürfnisse und Forderungen sichtbar.“
Die Ausbilderinnen in den Zentren vermitteln insbesondere Kenntnisse zum Nähen und Schneidern, aber die Besucherinnen können aus einem viel größerem Angebot wählen. So gibt es beispielsweise Sprach- und IT-Kurse sowie Schulungen in Kosmetik und im Friseurhandwerk. Zusätzlich informieren zivilgesellschaftliche Organisationen Mädchen und Frauen vor Ort über ihre Rechte. Daher sieht Vittoria Capresi in den Zentren eine Chance, gesellschaftliche Schranken abzubauen: „Frauen können ganz einfach teilnehmen und dabei ihren Geist stärken, kreativ sein und Selbstbewusstsein aufbauen.“
Neue Perspektiven für gesellschaftliche Teilhabe
Damit sowohl die Behörden als auch die Menschen vor Ort die neuen Einrichtungen unterstützen, werden sie von Anfang an in den Aufbau einbezogen. So sucht etwa die Gemeinde ein passendes Gebäude aus, bevor die GIZ es umbaut und ausstattet. Außerdem sind die lokal gewählten Frauenräte von Beginn an eingebunden, wenn die GIZ Trainingspersonal schult und die ersten Trainingsangebote plant. Diese Zusammenarbeit ist entscheidend, da die Kommunen die Zentren eigenständig verwalten sollen, sobald sie eingeweiht sind. Den Betrieb übernehmen rein weibliche Teams, die auch das selbst erwirtschaftete Budget verwalten und die Angebote gemeinsam mit den Nutzerinnen weiterentwickeln.
So sind in ganz Libyen bereits zwölf Frauenzentren entstanden, in denen die Frauen täglich Kurse besuchen, neue Produkte nähen oder in den Fitnessräumen Sport treiben. Allein das Frauenzentrum der nord-westlich gelegenen Gemeinde Zintan zählte bereits fast 300 regelmäßige Teilnehmerinnen. Insgesamt verarbeiteten Frauen während der Corona-Pandemie in sieben Zentren über 53.000 Quadratmeter Stoff zu Schutzkleidung für Gesundheits- und Bildungseinrichtungen.
Und das soll erst der Anfang sein, denn das Projekt wächst – acht weitere Frauenzentren sind bereits geplant. Zudem entwickeln sich die bestehenden Einrichtungen durch Ideen der Nutzerinnen stetig weiter. So wird das Bildungsangebot immer vielseitiger. Das kommt an: Immer mehr Frauen wollen sich beteiligen und immer mehr Kommunen wünschen sich ein eigenes Zentrum. Auch sie wollen Teil eines Wandels zu mehr Gleichberechtigung sein und es Frauen ermöglichen, selbstständiger zu werden.
Stand: März 2022